Zum Thema “richtige Ernährung” gibt es vermutlich mehr Mythen und falsche Annahmen als zu fast jedem anderen Alltagsthema.
Ich hatte die Gelegenheit, darüber mit jemandem zu sprechen, der es wissen muss: Prof. Dr. Jan Frank, einer der profiliertesten Ernährungswissenschaftler in Deutschland.
Professor Frank leitet das Fachgebiet “Biofunktionalität der Lebensmittel” am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Hohenheim in Stuttgart.
Informationen zur Arbeit von Professor Frank, zu seiner Vita und eine Liste seiner zahlreichen Veröffentlichungen findest Du auf der Seite seiner Arbeitsgruppe sowie der Uni Hohenheim.
Das Gespräch mit Professor Frank war nicht nur hochinteressant, sondern auch sehr ausführlich. Falls Du die ersten beiden Teile unseres Gespräches noch nicht gelesen hast, kannst Du hier mit dem ersten Teil anfangen. Nun folgt der dritte Teil:
Wir haben ja schon von Hülsenfrüchten geredet und dass es eine gewisse Unverträglichkeit gibt, gewisse komplexe Kohlenhydrate zu verdauen. Anscheinend etwas, das einer von drei in unseren Breitengraden hat, in mediterranen Gefilden offensichtlich deutlich weniger.
Zu Fructoseunverträglichkeit habe ich auch gelesen, dass das jeder Dritte hier hat. Bedeutet das, dass ich mich beispielsweise auch bei Trockenfeigen und Obst zurückhalten sollte, weil Fructose, auch wenn es natürlich ist, ein problematischer Nahrungsmittelbestandteil ist?
Prof. Dr. Frank:
Also ich glaube nicht, dass Fructose als Bestandteil von Obst ein grundsätzliches Problem ist. Wenn sie einen Apfel oder eine Banane essen, werden die meisten Menschen sicherlich keine großen Probleme bekommen.
Wenn man aber etwas zu sich nimmt, das besonders hochkonzentrierte Fructose enthält, dann vielleicht schon. Bei Trockenobst, wo der Gehalt auf die Masse gesehen höher ist, kann es so gesehen schon eher mal zu Problemen kommen. Aber dann merke ich ja, ob ich es vertrage oder nicht.
Okay, da bin ich jetzt einfach mal ganz offen: Bei mir ist es definitiv so, dass wenn ich Zucker esse, der Stuhl immer dünner und schmieriger wird. Das kommt halt von der Fructose. So wirkt einfach Zucker, wenn man es übertreibt, oder?
Prof. Dr. Frank:
Das kann schon sein. Fructose-Unverträglichkeit ist ja letztlich eine Fructose-Malabsorption, die Fructose wird also nicht ausreichend resorbiert und gelangt in den Dickdarm, wo sie dann von Bakterien verstoffwechselt wird. Dabei entstehen Stoffe und Gase, die Blähungen und Durchfall verursachen können. Da strömt auch mehr Wasser in den Darm.
Okay, verstanden. Und ist Salz und Zucker etwas, das einen großen Einfluss auf den Wasserhaushalt des Körpers hat? Diesen Eindruck habe ich bei mir.
Ich ernähre mich unter der Woche schon sehr bewusst und vor allen Dingen salzarm. Ich sage immer: Der eigentliche Gradmesser für das, was ich bereit bin, an Genussverzicht im Alltag zu tolerieren, hat für mich gar nicht so viel mit Zucker und tierischen Lebensmitteln zu tun, sondern wie gering mein Salzkonsum ist.
Denn wenn ich mir da anschaue, was ihre Zunft empfiehlt, das ist für mich dann schwer zu tolerieren. Selbst in einem Alltag, indem ich viel zu tun habe und nebenher esse – 6 g Salz sind schon verdammt wenig für meine 2.500-3.000 kcal, die ich brauche, um einigermaßen durch den Alltag zu kommen. Also z.B. für meinen großen Salat einen halben Teelöffel und für mein Tomaten-Erbsen-Pilz-Eintopf auch noch mal ein halber Teelöffel. Das ist doch schon arg wenig, da stimmen Sie mir zu, oder?
Prof. Dr. Frank:
Da haben sie jetzt aber auch noch nicht ausgerechnet, was in verarbeiteten Produkten an Salz schon drinsteckt. Und das ist nicht wenig.
Richtig. In meinem Vollkornbrot vom Bäcker beispielsweise, weshalb ich eigentlich nur Reiswaffeln ohne Salz essen sollte, damit ich da nicht auch noch einen Fehler mache. Da kommt dann wieder die Orthorexie ins Spiel: Ich glaube, es wird deutlich problematischer, wenn man das zu ernst nimmt.
Prof. Dr. Frank:
Da muss man wirklich aufpassen, dass man das nicht zu genau nimmt. Denn Ernährungsempfehlungen sind letztlich Orientierungswerte und keine fixen Vorgaben, die täglich erfüllt werden müssen.
Der empfohlene tägliche Salzverzehr von bis zu 6 Gramm am Tag gilt für eine kleine Frau mit 45 kg genauso wie für einen 90 kg schweren Mann. Da muss einem klar sein, dass das nur ein Orientierungswert sein kann. Wesentlich mehr Salz sollte man aber, egal wie schwer man ist, nicht regelmäßig essen.
Zu Intervallfasten würde ich sie gerne noch befragen. Da habe ich mich selbst sehr, sehr viel mit beschäftigt, weil ich festgestellt habe, dass das sehr zu meinem natürlichem Bio-Rhythmus passt.
Ich bin im Alltag kein Frühstücker, ich trinke meine Tees und presse mir eine Grapefruit aus und esse das Fruchtfleisch, weil ich merke, dass so das Koffein besser wirkt.
Das ist auch eine der ganz wenig konkreten Dinge im Essen, die ich tatsächlich nutze: Diese seltsame Fähigkeit der Grapefruit, den Abbau bestimmter Substanzen im Körper zu behindern und damit subjektiv empfunden auch die Wirkung zu erhöhen. Kann man das so sagen?
Prof. Dr. Frank:
Jein. Also was es tatsächlich macht, es hemmt Phase-1-Enzyme. Diese Enzyme sind der erste Schritt des Abbaus und der Ausscheidung von Fremdstoffen. Durch die Hemmung dieser Enzyme, die auch Koffein abbauen, wird dieses also einfach langsamer metabolisiert und ausgeschieden. Koffein bleibt also länger im Körper und kann so länger wirken.
Alles klar. Das heißt, ich kann gewissermaßen Koffein sparen, indem ich mir sozusagen eine längere Wirkzeit für die gleiche Menge „erkaufe“.
Prof. Dr. Frank:
Genau.
Okay, nun wieder zum Thema: Ich habe festgestellt, dass wenn ich erst wieder zum Mittagessen einsteige, dass es mir viel leichter fällt, mein Gewicht zu kontrollieren. Das passte gut mit dem zusammen, was 16/8-Intervallfasten genannt wird.
Und ich habe festgestellt, dass wenn ich nach dem Urlaub 2,5-3 kg zugenommen hatte, was bei mir nach 2-3 Wochen durchaus vorkommt, ich am erfolgreichsten bin, wenn ich das sogar noch weiter verlängere und in einem Zeitfenster zwischen 16 und 19 Uhr esse, also relativ kurz hintereinander große Mahlzeiten. Wenn ich dann um 22 Uhr ins Bett gehe, ist alles sauber anverdaut.
Gefühlt gibt Intervallfasten für mich unheimlich Sinn. Individuell bei mir so, oder etwas, dass ganz allgemein wissenschaftlich empfehlenswert für jedermann oder fast jedermann ist?
Prof. Dr. Frank:
Ich bin kein Experte für den Energiestoffwechsel und kann nur wiedergeben, was ich gehört habe. Tatsächlich ist Intervallfasten gerade ein sehr heißes Forschungsthema. Man hat durch das Auslassen einzelner Mahlzeiten anscheinend positive Effekte. Einer davon ist natürlich auch, dass ich Kalorien einspare. Ich nehme dadurch, dass ich eine Mahlzeit weglasse, natürlich weniger Kalorien zu mir.
Man kann auch Intervallfasten, indem man nur jeden zweiten Tag isst. Also man fastet an einem Tag und isst erst wieder am nächsten Tag. Da würde ich auch wieder sagen: Das kann man so machen, wie man es gut verträgt.
Wenn man sich dabei besser fühlt, super, denn man nimmt natürlich insgesamt einfach weniger Kalorien zu sich, wenn man jeden zweiten Tag nichts isst. Denn man isst sicherlich an den anderen Tagen nicht die doppelte Menge. Und wir nehmen nämlich fast alle generell zu viele Kalorien zu uns.
Verstanden. Sie sind also auch der Meinung: Die große Gefahr dieser westlich übersättigten Gesellschaften ist erstmal die überkalorische Ernährung.
Und jemand, der wie meine Frau beispielsweise das Glück hatte, von Kinderbeinen an so eine natürlich Schlanke zu sein, die nie großartig Fettpolster hatte, ist grundsätzlich etwas, das sehr empfehlenswert ist? Wenn man also nie übertrieben dick wird, oder?
Prof. Dr. Frank:
Ja, das ist natürlich ein großes Glück.
Das ist nämlich auch etwas, das bei mir immer wieder aufgetaucht ist. Die Herkunft der Proteine etc. ist also gar nicht so wichtig, wenn man insgesamt über einen Zeitraum von Jahren und Jahrzehnten nicht zu viel von allem gegessen hat?
Prof. Dr. Frank:
Ja, für das Körpergewicht ist langfristig nur die Balance von aufgenommener und verausgabter Energie entscheidend, also die verzehrten Kalorien und die körperliche Bewegung. Solange die im Gleichgewicht stehen, nimmt man nicht zu.
Und was das Intervallfasten angeht: Ich glaube, dass das einfach etwas ist, was nicht schadet. Also nicht nur, wenn man abnehmen will. Ich glaube, dass das grundsätzlich gut ist.
Wobei man aber auch aufpassen muss, wie lange man fastet. Denn der Hunger-Stoffwechsel ist eine Stoffwechsellage, in der der Körper sich darauf einstellt, alle überschüssig aufgenommene Energie zu speichern, also in Fettdepots umzuwandeln. Und da bin ich mir tatsächlich nicht sicher, was aus wissenschaftlicher Sicht ein gutes Fasten-Schema wäre.
Also bei mir ist problematisch, das kann ich aus meiner eigenen Erfahrung berichten, dass wenn ich das mal ein paar Wochen mache, dass ich mich unheimlich stark vom Hungerempfinden auf dieses Zeitfenster einstelle.
Bei uns kocht sonntags traditionell meine Schwiegermutter und wenn ich dann mittags esse, kann ich 3 Teller essen, aber ich „sabbere“ dann trotzdem wie der Hund um 15:30 Uhr und obwohl ich noch Bauchweh habe, muss ich was essen.
Meine Erfahrung ist, dass der Mensch als Säugetier sich selbst unfassbar konditionieren kann, was Schlaf, was Essen angeht. Das ist die einzige Gefahr beim Intervallfasten, die ich sehe. Man spielt sehr, sehr stark mit einer Standardisierung, die aber in einem gesellschaftlichen Nach-Corona-Leben vielleicht nicht so einfach einzuhalten ist. Das ist aber rein subjektiv, das ist meine Erfahrung der letzten Wochen.
Prof. Dr. Frank:
Aber auch da ist ja ganz gut, wenn man eben nicht einen ganzen Tag oder 2 Tage fastet und leere Intervalle hat, weil es schon ein bisschen Zeit braucht, bis sich der Stoffwechsel auf Hunger-Stoffwechsel umstellt. Das macht er nicht innerhalb von ein paar Stunden, das müssen schon ein paar Tage sein.
So gesehen ist es, das ist jetzt aber meine Laien-Meinung, vielleicht besser einzelne Mahlzeiten auslassen, als gleich tageweise zu fasten. Sonst läuft man eventuell Gefahr, dass man seinen Stoffwechsel immer wieder auf „Energie speichern“ umstellt und dann vielleicht sogar den gegenteiligen Effekt erzielt.
Vielleicht noch ein Punkt, weil sie vorher erzählt haben, dass sie über Kalorienrestriktion eine Vorlesung halten: Es ist so, dass 4 von 5 Kunden bei mir abnehmen wollen.
Sind Sie der Ansicht, dass das sehr stark davon abhängig ist, wie groß die eigenen Glykogenspeicher sind und wie sehr man bereit ist, erstmal 1, 2 oder 3 Tage durchzuhalten, bis man wirklich erstmal geleerte Glykogenspeicher hat? Oder sagen Sie, die Kalorienrestriktion mal 14 Tage durchhalten, dann ist das gar nicht so wichtig?
Prof. Dr. Frank:
Also grundsätzlich ist es so, das wissen Sie auch, dass man nur abnimmt, wenn man weniger Energie zuführt, als man verbraucht. Das ist der einzige Trick daran.
Natürlich könnte man den Speichern ein wenig was wegnehmen. Aber wenn sie jetzt wirklich 2 Wochen hungern, dann schalten Sie auf Hunger-Stoffwechsel um und dann fällt das Abnehmen noch schwerer, weil Sie mit weniger Energie am Tag auskommen und leicht zu viel Kalorien aufnehmen, die dann in Fett umgewandelt werden.
Deswegen ist es meines Erachtens sinnvoller, langsam abzunehmen, also kontinuierlich, aber eben signifikant weniger Energie zuzuführen, als man verbraucht.
Unsere Empfehlung ist beispielsweise immer 5 kg Körperfett in 3 Monaten mit einer Kalorienrestriktion von ungefähr 500 kcal am Tag anzupeilen, um auf die berühmten 3/5 = -0,5 zu kommen.
Und wenn man sehr motiviert ist, kann man auch probieren, bis maximal 1.000 kcal zu reduzieren, um dann Richtung 1 kg pro Woche zu gehen. Aber das ist langfristig eher weniger empfehlenswert, sondern eher mal für 4-5 Wochen.
Sehen Sie das als seriöse Empfehlungen?
Prof. Dr. Frank:
Ja, wobei das natürlich immer davon abhängt, bei welchem Körpergewicht ich anfange.
Klar, ich habe jetzt auch einen Kunden gehabt, der bei 155 kg gestartet ist, der ist wesentlich weniger streng als ich. Das weiß ich, weil ich mich mit ihm sehr eng austausche. Und trotzdem verliert er 1,5-2 kg die Woche, obwohl das eigentlich vom Kaloriendefizit nicht passt.
Aber bei einem BMI weit oberhalb von 30 ist eben auch der Wasserhaushalt ein ganz anderer usw., weshalb da die großen Gewichtschwankungen erklärbar sind, oder?
Prof. Dr. Frank:
Sicherlich ist das auch ein Teil davon.
Herr Prof. Frank, ich danke Ihnen ganz, ganz herzlich, das war für mich eine tolle Stunde. Unheimlich erkenntnisreich und vor allen Dingen an vielen Stellen auch beruhigend, dass ich den diffusen Stand dann offensichtlich nicht ganz falsch interpretiere. Es ist einfach sehr individuell und man sollte sich vor allem nicht völlig verrückt machen.
Prof. Dr. Frank:
Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Nahrung soll nicht nur gesund sein, sondern auch Spaß machen und schmecken. Ernährung sollte kein Anlass zur Sorge sein. Wenn man vielfältig und abwechslungsreich isst, dann ist auch das Risiko gering, dass man sich falsch ernährt.
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Dr. Benjamin Erhardt ist Familienvater, Unternehmer und Statistiker. BESTFORMING hatte er ursprünglich für sich selbst entwickelt, um gesunde Ernährung und Fitness mit seinem Alltag vereinen zu können. Sein persönliches Lebensziel: Gesund, fit und glücklich 110 Jahre alt werden. |