„Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz“ – Im Gespräch mit Werner Kieser (Teil 1)

Ähnlich wie beim Thema Ernährung gibt es beim Thema Körper-Training eine große Anzahl von sich oft widersprechenden Meinungen, Ratschlägen und Mythen.

Einer, der – oft gegen den Mainstream – seit Jahrzehnten den Zusammenhang zwischen Krafttraining und Gesundheit in den Mittelpunkt stellt und statt Mythen wissenschaftlich nachvollziehbare Fakten zur Basis von praktischem Training macht, ist Werner Kieser, der Erfinder von Kieser-Training, äußerst erfolgreicher Unternehmer und vielfacher Buchautor. Kurz: Ein echtes Vorbild, nicht nur für mich.

Werner Kieser gründete 1967 sein erstes Fitnessstudio in Zürich. Mittlerweile gibt es mehr als 150 seiner Studios in Deutschland, Schweiz und Österreich.

Ich hatte die Ehre und große Freude, mit Werner Kieser über seine Lebensgeschichte zu reden und über verschiedenen Themen rund um Training und Gesundheit zu diskutieren.

Das Gespräch mit Werner Kieser war äußerst interessant und zudem sehr ausführlich. Hier der erste Teil:

Ich bin über das Buch „Die Seele der Muskeln“ mit Ihnen bekannt geworden und habe dann meine Vorurteile gegenüber Kieser-Training revidiert. Bis dahin dachte ich, das sei rückentherapeutisches Training.

Also ich hatte tatsächlich keine Ahnung, dass sie einfach HIT an spezialisierten Geräten für jeden Zielmuskel inklusive Unterarme anbieten.

Werner Kieser:

Der Rücken ist natürlich zentral. Wenn sie Rückenprobleme haben, sind sie ein gebrochener Mensch.

Und es war einfach aus werbetechnischen Gründen in Deutschland notwendig, wo schon 500 Studios existierten, sich abzugrenzen. Also habe ich ich mich gefragt: Was ist das dringendste Problem, dass die Leute generell haben? Das ist der Rücken!

Da habe ich also dann mit meinem Spruch „Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz“ angesetzt und viel ausgelöst. Ich wurde vom Orthopädenverband angeklagt usw. Das Schöne ist, dass ich das schon in der Schweiz sozusagen im Reagenzglas erlebte, und in Deutschland kam es dann tatsächlich so, wie ich es auch erwartet habe.

Also zuerst Ignoranz, in der Hoffnung, dass es aus der Fachwelt verschwindet.

Dann wurde es lächerlich gemacht: „Kieser war Boxer und Bodybuilder, das kann ja nichts Intelligentes sein.“

Als ich immer noch Erfolg hatte, wurde das Kieser-Training angegriffen. Das wurde ich dann, von, wie gesagt, Orthopäden. Die haben sich natürlich provoziert gefühlt mit dieser Aussage.

Dann kam die 4.Stufe: Das Kieser-Training wurde kopiert. Die Physiotherapeuten sagten z.B., dass sie das schon immer gut fanden, obwohl sie mich angegriffen hatten.

Die 5.Stufe ist dann, dass andere meinen, sie haben es erfunden. Das werden sie aber überall als Unternehmer erleben.

Hier würde ich gerne eine Zwischenfrage stellen: Ich habe alles verstanden und folge bei allem. Beim Stichwort Kopieren fallen mir jetzt die ganzen Gerätezirkel ein, die ich in den Fitnessstudios sehe. Fing das auch mit Ihrem Erfolg an?

Haben Sie quasi auch den Eindruck gewonnen, dass sie unabhängig von der Orthopäden- und Physiotherapeuten-Welt Einfluss auf die Fitnessstudios hier in Europa hatten? Also in der Form, dass die Fitnessstudios dann angefangen haben, auch mit Geräten zu kommen.

Heutzutage verbindet man ja „Geräte vs. Freihantel“ grundsätzlich mit Fitnessstudio und noch nicht einmal mit Kieser-Training direkt, wie es vielleicht mal ursprünglich war.

Werner Kieser:

Natürlich, ich hatte auch 20 Jahre mit konventionellen Geräten gearbeitet. Dann kam ich in Berührung mit Arthur Jones. Das ist eigentlich der Urknall der Fitness-Industrie gewesen. Arthur Jones erfand den  physiologisch angepassten Widerstand während der Bewegung, was eben die Hantel nicht bieten kann.

Arthur Jones hat Geräte gebaut und kam aus der Bodybuilding-Richtung von Mike Mentzer, HIT usw. Kann man das so zusammenfassen?

Werner Kieser:

Ja, leider sind alle diese Leute tot. Den Mike und auch seinen Bruder kannte ich gut.

Die haben aber einen Fehler gemacht, vermute ich: Sie haben die Wirkung von Substanzen, die man nicht injizieren sollte, unterschätzt, oder?

Werner Kieser:

Als Professional Bodybuilder, der ich eben aus diesem Grund nicht war, kommen sie nicht umhin.

Ja, die geben das ja auch alle zu. Arnold Schwarzenegger macht z.B. keinen Hehl daraus, dass das in den 60er- und 70er-Jahren normal war. Er sagt nur, dass heute die Reinheit und Intensität nochmal eine viel Verheerendere ist als damals.

Ich kenne viele Mediziner und die sagen auch: „Was man heute auf dem Schwarzmarkt an Reinheit bekommt, das haben die Jungs in den 60-er und 70-er-Jahren auf Profiniveau nicht bekommen.“

Werner Kieser:

Ja, klar. Das war zu dieser Zeit schon noch ein Abenteuer.

Ich hatte damals ein Trainer aus Kenia, der war 10 Jahre bei mir und hatte eine unglaublich gute Genetik. Wir waren damals bei der „Mr. Universum“-Meisterschaft in London, ich glaube 1981, da war auch Mike Mentzer.

Wir waren beim Frühstück zusammen und dann hat der Mike den Jackson gefragt, eben meinen Athleten, wieso er denn keine Drogen nehme. Er hatte von weitem gesehen, dass er keine nimmt. Er fand das schade und sagte ihm, dass er aufgrund seiner Muskellänge usw. viel Potential hätte.

Aber mein Athlet war Christ und glaubte, dass Gott ihm das nicht erlaubt. Das war seine Überzeugung. Er war wirklich sehr, sehr gut, aber wie sie wissen, hat man so keine Chance. Ohne Anabolika geht das nicht.

Ich verstehe es, wenn die Profis es nehmen, sie müssen schließlich davon leben. Man kann das nicht verbieten.

Auch immer diese Überheblichkeit gegenüber gefallenen Sportlegenden wie einem Jan Ulrich in Deutschland. Das ist in meinen Augen scheinheilig. Er kann auf diesem Niveau doch gar nicht mithalten, wenn er nicht „mit den Wölfen heult“.

Werner Kieser:

Ja, das ist bei den Radrennfahrern dasselbe. Ohne Drogen schaffen sie das heutzutage nicht mehr. Das ist sehr schade.

Ich war ja auch Mitbegründer des Schweizer Bodybuilding-Verbandes. Doping war der Grund, warum ich da nicht mehr mitgemacht habe. Denn die jungen Leute, die in die Studios kamen, dachten, sie können auch so aussehen wie Mike Mentzer oder Arnold Schwarzenegger.

Das funktioniert aber nun einmal nicht, vielleicht einer von 1.000 hat diese genetischen Voraussetzungen. Und dann nehmen sie eben Drogen und meinen, damit schaffen sie es. Das ist eine große Problematik und macht die Sache letztlich auch kaputt.

Ich vertrete in meinem Konzept BESTFORMING eine ganz ähnliche Aussage: Ich sage den Leuten, dass die Basis von Training Krafttraining sein muss. Das ist nichts, was wissenschaftlich noch diskutiert wird, das ist völlig klar. Das wissen wir heute.

Werner Kieser:

Ja, das ist richtig.

Ich habe letztens in einem wissenschaftlichen Artikel über die Auswirkungen von Training bis zur lokalen Muskelerschöpfung etwas gelesen, das mir neu war.

Es ging darum, dass das hochintensive Training bis zur lokalen Muskelerschöpfung einen kardiovaskulären Effekt hat. Es ging aber nicht um das Kardiovaskuläre am Krafttraining, sondern darum, dass offensichtlich diese Mikroverletzungen etc. dazu führen, dass der Gesamtmetabolismus derart gereizt wird, dass auch die Ausdauerleistung mit ansteigt. Das ist eine tolle Nachricht für Kraftsportler.

Werner Kieser:

Wenn sie Marathon- oder Triathlon-Meister werden wollen, dann müssen sie eine geringe Muskelmasse haben, weil sonst das Blut-Versorgungsgebiet viel zu groß ist. Das spricht aber ja nicht dagegen, dass man bei Krafttraining die Ausdauer auch trainiert.

Es ist aber nun einmal so, wenn man an die Spitze will, dass man wenig Muskelmasse haben darf. Natürlich so viel Kraft wie möglich bzw. nötig, aber wenn die Muskeln zu groß werden, haben sie in solch einem Bereich keine Chance.

Man muss sich ja nur den Marathonläufer, den Sprinter und dazwischen den Mittelstreckenläufer anschauen. Das ist von der Physiognomie eine Blaupause dafür, welche Muskulatur bei welcher Art von Leichtathletikbelastung benötigt wird.

Wenn ich Frauen frage, sagen die meisten, dass die schönsten Männer die Zehnkämpfer sind.

Werner Kieser:

Das stimmt. Wobei die mittlerweile auch sehr, sehr kräftig sind.

Ja, die werden auch massiger. Ich komme vom Tennis ursprünglich und da ist es dasselbe. Die Ära nach Federer ist ein physische Ära. Ein Novak Djokovic oder ein Rafael Nadal sind muskulär und von der Ausdauer einfach sowas von physisch geworden, dass die Leichtigkeit leider etwas verloren geht.

Werner Kieser:

Auch bei den Frauen, wenn man sich die Williams anschaut, die auch sehr kräftig ist.

Sie sind noch jung, zu meiner Zeit war das völlig „out of this world“. Da hieß es noch: „Krafttraining macht man nicht.“ Als ich damals in Magglingen, der Schweizer Sporthochschule, sagte, dass ich etwas mit Krafttraining studieren möchte, sagte man mir: „Ne, damit haben wir nicht viel am Hut.“ Das war 1958.

Glücklicherweise haben sie mich zu einem Mann geschickt, der ein Mann von Welt ist. Das war der Schweizer Nationalcoach der Gewichtheber. Dort hieß es dann, dass ich nicht auf die Leute von der Sporthochschule hören soll, die wären nicht am Ball der Zeit. Das war interessant für mich.

10-15 Jahre galt ich dann als exotisch. Das hat mich aber nicht gestört, weil ja die Kunden mir bewiesen haben, dass es funktioniert. Das war das Schöne. Und es hat auch bei mir mit meiner Rippenfellverletzung funktioniert.

Ich kannte einen jungen, deutschen Profiboxer, Dr. Mirko Wolf, der schrieb damals seine Dissertation über Boxen und Krafttraining. Er war ein sehr sympathischer Junge, hat im Weltergewicht geboxt. Ich habe ihm erzählt, dass mein Boxtrainer mir gesagt hat, dass Krafttraining ungesund sei und langsam macht usw. Ich sagte ihm, dass solche Ansichten ja jetzt glücklicherweise hinfällig sind, wenn man die Dissertation liest.

Er antwortete: „Du glaubst es nicht, aber das ist heute noch so. Viele Trainer haben immer noch diese alten Vorurteile und Mythen.“ Es ist schön, dass ich noch lebe und sich das mit der Zeit zunehmend geändert hat.

Das hat sich tatsächlich geändert,  mit meinen knapp 40 Jahren und meinem Konzept stehe ich da deutlich besser da: Unsere Zielgruppe ist sehr jung und in vielen Bereichen aufgeklärter. Sie haben ein Bewusstsein für nachhaltiges Leben, Fleischkonsum, eine vernünftig vegetarisch ausgewogene Ernährung u.ä. Und die meisten sind sich eben im Kern bewusst, dass Krafttraining Teil einer gesunden Körperhygiene und einer gesunden Identität sein muss, ob man es mag oder nicht.

Das motiviert mich im Moment sehr und ist auch der Grund, warum ich mich so über unser Gespräch freue: Sie waren einer der ersten, der mir im Bereich „Training“ aus der Seele gesprochen hat.

Mit der Zeit wird das Bild halt einfach stimmiger und zunehmend einfacher. Ich meine, dass z.B. mein Rücken mit den Muskelsträngen, die ich mittlerweile habe, mehr im Alltag tolerieren kann, ist doch eigentlich logisch. Und dass man z.B. keine übertriebenes Dehnen oder Stretchen machen muss, wenn man Bewegungsmuster beim Krafttraining in einer kontrollierten Langsamkeit ausführt.

Ich bin froh, dass jemand wie sie das aufgeschrieben hat, der eine gewisse Autorität hat, weil das eigentlich sachlogisch sehr einfach zugänglich ist. Seit ich z.B. ihr Buch gelesen habe, mache ich keine 20 Minuten Dehnprogramm mehr vor meinem Training. Ich trainiere jetzt schön Superslow und habe keinerlei Probleme.

Werner Kieser:

Mein Geschäftserfolg war weitgehend von einem Mentor abhängig: Dr. Gustaf Großmann. Er hat in den 20-er-Jahren ein Buch geschrieben, das sich heute noch verkauft. Es heißt „Sich selbst rationalisieren“.

Das ist eine Geschichte, die für mich retroperspektiv sehr wichtig ist, da ich keine betriebswirtschaftliche Ausbildung hatte. Wie baut man als junger Unternehmer ein Unternehmen auf, wenn man kein Geld hat?

Ich verdanke ihm wirklich sehr viel. Ich habe damals seinen Fernkurs gemacht und viel vom ihm gelernt. Meine Frau sagte: „Du machst einfach stumpf und dämlich alles, was er sagt.“ Und, ja, so war das und es hat wirklich Erfolg gebracht.

Ich habe am Rand nämlich gesehen, dass Sie sich auch mit Selbstorganisation beschäftigen (Anm. d. Red.: Die Rede ist von AGILEMENT), weshalb ich Ihnen das noch nebenbei erzählen wollte. Ich habe mein Management nach dieser Methode ausgebildet, also in Bezug auf alle Themen rund um Zeitmanagement und Projektplanung. Leider lebt Dr. Gustaf Großmann nicht mehr, ich war einer seiner letzten Schüler in den 70-er-Jahren.

Hier gelangst Du direkt zum zweiten Teil des Gespräches.


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Dr. Benjamin Erhardt ist Familienvater, Unternehmer und Statistiker. BESTFORMING hatte er ursprünglich für sich selbst entwickelt, um gesunde Ernährung und Fitness mit seinem Alltag vereinen zu können. Sein persönliches Lebensziel: Gesund, fit und glücklich 110 Jahre alt werden.

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